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Hotel Bayerischer Hof Magazin 2019.

FOOD & WINE Jan Hartwig

FOOD & WINE Jan Hartwig arbeitet mit viel Energie und Konsequenz an einer neuen kulinarischen Positionierung der deutschen Spitzenküche FOTOS LUKAS KIRCHGASSER kulinarische Oper sollte heute kein wahlloser Griff in den Katalog des weltweiten Warenangebots mehr sein, sondern mitten im realen Leben stehen. Eine solche Küche glänzt dann, wenn sie nicht mit Gags arbeitet, sondern mit überzeugenden Lösungen, die ihre Wirkung deshalb nicht verfehlen, weil ihre Qualität und ihre Aussage nachvollziehbar ist. Auch für einen guten Kochkünstler (um einmal dieses Bild zu benutzen) gilt, dass es besser ist, dem Publikum die Hand zu reichen und es zu sich auf die Bühne zu holen, als sich dem Publikum anzubiedern. Der Effekt-Koch bedient auch immer irgendwie Mechanismen wie die banaler, reißerischer TV-Sendungen. Der Meister seines Faches kennt seine Rolle, seine mögliche Verantwortung, seine Vorbildwirkung und kann zum Motor eines kulinarischen Räderwerks werden, das uns nicht nur viel Genuss und Freude bereitet, sondern auch dem Ganzen dient. Und das alles soll in einem Hauptgericht eines Drei-Sterne-Restaurants stecken? Ja, natürlich. Man sollte bei all dem nur nicht vor Bedeutungsschwere platzen, sondern kann die Zusammenhänge auch ganz cool und sachlich sehen. Bei seinem geschmacklich überragenden Kalbsfilet arbeitet Jan Hartwig erst einmal mit Produkten, die aus dem ganz normalen saisonalen Angebot stammen. Die Frage für ihn war nun, wie man solche Produkte nicht nur optimiert, sondern in eine Fassung bringt, die die Gäste vollkommen überrascht. Den „Hebel“ erfährt er vom Liebstöckel, von der fermentierten Vadouvan-Mischung (einem der ältesten fer mentierten Produkte, das schon seit vielen Jahren in Europa beheimatet ist) und von dem Semmeltaler. Ein spezifischer aromatischer Raum sorgt für ein Netz von Beziehungen. Zuerst der Geschmack. Die Basis wird von einem kräftigen Vadouvan-Schaum und einem Liebstöckelsud gebildet. Wie unschwer zu erkennen ist, nimmt man von diesem Hintergrund automatisch immer eine Prise auf und aromatisiert so die weiteren Elemente. Der Hintergrund ist von der Viskosität und der Intensität her so eingestellt, dass er nicht zu viel an Aroma liefert, sondern exakt das, was zu einer hochinteressanten aromatischen „Parfümierung“ der anderen Elemente notwendig ist. Das Fleisch hat eine hervorragende Stammwürze und natürlich gegenüber dem Hintergrund immer den Vorteil, sensorisch im Mund „länger“ zu sein. Es blendet also im Akkord durch. Hartwig arbeitet grundsätzlich bei seinen Kreationen mit einer ausgefeilten Sensorik, die dafür sorgt, dass sich eine Art Mechanik entwickelt, bei der alle Elemente zu der beabsichtigten Wirkung kommen und – wie hier – eine geradezu faszinierende Ausstrahlung erreichen. Knödel und Kohlrabi in dem seitlich liegenden Törtchen wirken wie schiere Deli katessen, weil sie einmal im Verhältnis zu Liebstöckelsud und Vadouvan-Schaum sehr frisch, klar und präsent wirken, andererseits aber eine aromatische Anreicherung im Hintergrund erfahren, die für ein glänzendes With the “perfect blend of kimizus and the ham ’n’ onion stock” Dollase sees Hartwig on a par with the very best chefs. They too excel with the interplay of seasoning and acid but he surpasses them all with a dish that retains its down-to-earth quality. “Nothing fancy”, opines Dollase, “but truly magnificent”. “I’ve sampled the sauces of top regional chefs, but none have been as free of frills.” During the gourmet’s appraisal in the restaurant the fish is followed by the braised veal fillet. According to Dollase this could be “one of the Atelier’s classics of the future” because Hartwig has the skill to realise its potential in a modern framework, with the “sensational tatar giving it freshness and presence rapidly and briefly; only someone like Hartwig can handle all the elements needed for this plasticity.” Pièce de résistance for Dollase is the veal fillet: “a great culinary opera doesn’t resort to a gratuitous use of globally available products, it eschews gimmicks such as a chef’s TV appearances and works with solutions of proven quality. A chef who has mastered his craft has a high sense of responsibility. He is fully aware that he has to present his products in a new context, not just optimise them. First and foremost, Hartwig uses seasonal products for this incomparable dish. Vadouvan, one of Europe’s oldest fermented plants, and lovage trigger an aromatic chain reaction. A given element of the dish passes on aroma to the next, the background viscosity preventing any excess. This does not impair the meat’s weightier, sensory effect on the palate, thanks to the former’s inherent wort. Side pasties filled with kohlrabi and dumpling offset the lovage and vadouvan foam with their freshness. What a joy it would be if Hartwig did this with all traditional German dishes.” Dollase concludes with praise for Hümbs and Hartwig’s methodical craftsmanship. Their sensory perception has developed its own laws, but there is nothing automated about it. “They will measure how thick a slice of kohlrabi is, if need be.” Spitzenküchen-Bild sorgt. Es schmeckt bekannt und anders, aber überaus überzeugend. Hartwig zeigt mit diesem Gericht ganz klar, was man bei uns mit regionalen Produkten und traditionellen Aromenbildern an Qualität erreichen kann. Man wünscht sich da wirklich, dass er so etwas einmal mit allen traditionellen deutschen Gerichten macht. Ohne Automatismen Es ist von Jan Hartwig bekannt, dass er ausgesprochen systematisch und mit einem großen Gestaltungswillen an seine Arbeit herangeht. Natürlich sind seine Möglichkeiten mittlerweile anders, als die eines in den Mitteln stark beschränkten Kochs irgendwo auf dem platten Land. Dennoch gilt, dass der Ausgangspunkt für solche Qualitäten eine neue Denkweise ist, die nicht mehr automatisch reproduziert, die nichts für selbstverständlich hält, sondern die Gerichte von Grund auf neu denkt und neu versteht. Ja, notfalls sollte man auch wieder einmal darüber nachdenken, was bei einer Bratkartoffel passiert oder welche Dicke eine Kohlrabischeibe haben sollte, welche Kerntemperatur die verschiedenen Gemüsesorten haben und immer wieder, wie sich die sensorischen Aspekte bei den Zusammenstellungen von Elementen für ein Gericht auswirken. Letzten Endes realisiert sich das Wissen eines Kochs in jedem spezifischen Gericht und das ohne Automatismen: Was hier gilt, kann beim nächsten Gericht schon wieder ganz anders sein. Wer höchstes Niveau will, sollte das so sehen und praktizieren. Und weil Jan Hartwig und Christian Hümbs exakt so arbeiten, habe ich diese „Festspiele“ mit der Vorstellung und Analyse einer ganzen Reihe von Gerichten veranstaltet. Die Festspiele enden hier, ich bin gespannt, wie es mit diesen exzellenten Köchen weitergeht. So Dollases Schlusswort. Gespannt darf man sein, was in Zukunft diese beiden noch alles verbinden wird. Die Redaktion bedankt sich für die freundliche Genehmigung bei Jürgen Dollase und für diese Zusammenarbeit. Austernperle, Sauerampfer und Dulsealge 30 INSITE 2019

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